Nehmt Abschied Brüder

beschränken. Sowohl das Beispiel zur Geisteshaltung wie auch das Beispiel zur Gepflogenheit sind beides gesell - schaftlich offiziell akzeptierte Verhaltensweisen, aber beide können den Beigeschmack einer Auffälligkeit mit sich führen. Auffälligkeit ist gewöhnlich unerwünscht. Jemanden Auffälliges in einer Runde zu wähnen kann zur Folge haben, dass die Runde den Auffälligen stig - matisiert. Um Stigmatisierung, die niemand möchte, zu vermeiden, ist es vorteilhaft, Auffälligkeiten zu vermeiden und damit „mittelmäßig“ zu sein. Mittelmäßig lebt es sich demnach leichter, und mittelmäßig zu sein ist in der Gesellschaft durchaus angesehen. Als Antrieb für eine weit verbreitete Haltung und Denkweise gilt die Angst vor Gesichtsverlust, vor Verlust des Arbeitsplatzes, vor sozialem Abstieg [7]. So zeigt sich gerade in autoritären und totalitären Gesellschaften häufig die Angst als Grund für die Vermeidung einer auffälligen Positionierung. Diese Angst bringt die Betroffenen so weit, dass sie alles daransetzen, eine gewöhnliche Position einzunehmen. Die gewöhnliche Position kann dann auch sein – und dann wird es fatal – die Position eines Polizisten oder Militärs wie im April 1989 auf dem Platz des himmlischen Friedens in Peking, als Polizisten oder Militärs auf Per- sonen des eigenen Volkes schossen. Viele Polizisten und Militärs führen den angeordneten Schießbefehl aus, und die meisten von ihnen wissen, was eine Verweigerung des Schießbefehls bedeuten würde. Mittelmäßigkeit sollte spätestens seine Grenzen dort haben, wo die Menschenrechte anderer betroffen sind. Sich mittelmässig zu positionieren kann in unserer Ge- sellschaft durchaus opportun sein. Jede Person sollte sich aber darüber im Klaren sein, wann die eigene mit- telmäßige Positionierung für Andere zum Nachteil wird. Dabei ist mir persönlich ein Dorn im Auge, dass bei uns viele Menschen derzeit mit großer Selbstverständlichkeit tolerieren, dass gültige gesellschaftliche Regeln außer Kraft

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